Der rettende Plan

   

Ein kleines Land hatte schöne Wälder, Wiesen und Hügel. Es ernährte seine Bewohner, solange sie ihre Arbeit taten. So gingen sie täglich ihrer Arbeit nach, die Bauern pflügten, säten, gossen und ernteten. Der Müller machte Mehl und der Bäcker das Brot, so hatten auch der Schneider und der Schuster zu essen. Auch für die Kinder und die Alten sorgten viele in den Dörfern und Städten. Die Menschen waren überwiegend gut zueinander. Streit hielt nicht für lange.

In der Stadt lebte der König des Landes. Hin und wieder schickte Botschaften. Seine Herolde verlasen diese. Dann ging Volk weiter seiner Arbeit nach, denn der Herrscher ließ sie dabei in Frieden.

Das Land hatte für den König eine wunderschöne goldene Krone. Sie entstand in vielen Jahren. In der Sonne leuchtete sie hell, edle Steine bereicherten sie, die funkelten so vielfältig wie die Menschen waren. Und doch zierten sie die eine Krone. Deshalb sah man die Krone gerne und auch fremde Herrscher bewunderten sie und staunten.

Bisweilen kam der König mit der Krone in die Dörfer. Die Menschen kamen zahlreich, sie freuten sich am Glanz der goldenen Edelsteinkrone. Der König sprach strenge Worte, dabei schlug er mit dem Szepter auf den Tisch und verlieh so seinen Aussagen Nachdruck. Das Volk wußte, der König tut sein Werk.
Einige der versammelten Herolde sprachen zum König und erklärten ihm das Leben im Dorf.  Dann zog dieser die strengen Worte und danach sich zurück.
Die Bauern gingen wieder auf ihre Felder, der Schuster in seine Werkstatt und die Kinder in die Schule.

Als der König mit anderen Herrschern zusammenkam, bemerkte man, was sich im Leben des Landes und des Volkes verbessern ließe.
Da die Menschen gut zueinander waren, Kleidung und Nahrung hatten, verstanden sie viele Wünsche des Königs nicht.
Der König und seine Minister nahmen sich von den Herolden im Land einige heraus, die sie beraten sollten. Auch stellte man Forscher an, die Erklärungen suchten und fanden.
Um diese zu ordnen und fruchtbar zu machen, brauchte der König mehr Minister und diese stellten neue Berater ein, jeder für sein Sachgebiet. So kamen so viele Erträge der Forschungen zusammen, daß man den Überblick verlor und keine Zeit mehr hatte, auch noch die Ergebnisse der anderen Minister zu kennen. Doch wollte man nicht dumm erscheinen und sprach im Ministerrat viel von den Fortschritten.
Sogar der König war ratlos.

Er wurde darüber alt. Ein neuer König kam.
Die Krone gefiel ihm gut. Am liebsten trug er sie im Thronsaal seines Palastes. Durch die großen Fenster beschien sie bei Tag die Sonne und am Abend viele Lampen.
Auch war der König froh, weil die vielen Minister, Berater und auch die Gäste diese schöne Krone so gerne sahen. Viele hätten sie selber gerne auf ihrem Haupt getragen. Der König genoß das Wissen, daß sie ihn bewunderten.
In die Dörfer fuhr er nicht so gerne. Obwohl die Menschen auch dort seine Krone bewunderten, verstanden sie nicht, was er sagte und manche stellten Fragen.
Aus den vielen Ergebnissen seiner Minister, Berater und Forscher hatte er eine große Auswahl an Antworten. Doch viele davon verstand auch er nicht so recht. Er wagte nicht, sie zu geben. So sagte der König mit vielen Worten, was er gelernt hatte. Die Schlauen im Dorf bewunderten seine Bildung und so sagte niemand mehr etwas bis den König die Zeit zum Aufbruch drängte.

Einen Minister hatte der König besonders lieb. Seine Aufgabe war es, die Herolde des Königs im Land zu verteilen. Dieser wußte gut, was sein Herr mochte und brachte ihm schon am Morgen das Frühstück nach des Königs Geschmack. Drei Stücke Zucker machten den Kaffee süß – so ließ sich ein Tag beginnen.
Deshalb durfte dieser Minister den König in der Öffentlichkeit oft vertreten. Diese große Ehre erfüllte den Minister mit viel Stolz und die anderen Diener des Königs bewunderten ihn dafür. So nahm der Minister diese Aufgaben gerne wahr. Dabei vergaß er immer öfter die Herolde im Land. Sie liefen ungeordnet herum und vergeudeten dadurch viel Zeit. Zudem fehlten viele Herolde, weil sie den König beraten mußten. Ihre Arbeit sollten die verbliebenen übernehmen. Sie hatten immer weniger Zeit und Kraft, über ihr Tun nachzusinnen und einander zu begegnen und sich auszutauschen. So wiederholten sie immer öfter alte Botschaften, denen keiner mehr zuhörte.
Sie wurden unzufrieden und dem Minister immer unangenehmer.
Der König wußte um die Säumnisse seines Ministers in der Sorge um die Herolde, doch würde ein anderer ihm auch den Kaffee nach seinem Geschmack bringen? So übertrug er ihm gerne ehrenvolle Aufgaben im Reich. Er war froh, diesen ergebenen Minister zu haben.

Als der König mit seinen Ministern und Beratern im Thronsaal des Palastes versammelt war, fiel ein besonders klarer Strahl der Sonne auf die Krone und erleuchtete die Wangen des geliebten Ministers.
Da hatten der König und alle versammelten Großen im Reich einen erleuchteten Gedanken.

„Dem Volk muß man alles erklären!“

Unter den Herolden gab es auch dankbare – verständnisvoll für die Sorgen der Oberen und bereit, den König zu beraten.
Sie wurden hinzugezogen.

Alle Erfahrungen und Gedanken, alle Meinungen und alles Wissen sollte zusammengetragen werden. Einen großen Plan wolte man erstellen.
Dann verstehen die Menschen wieder.

Im Volk war Hoffnung.
Bei Hof war man froh. Die Minister und Berater hatten wieder zu tun und für viele Jahre eine hohe Aufgabe. Man würde nicht selbst als Herold in die kleinen Dörfer geschickt. Dort sah man nämlich die Krone nicht so herrlich leuchten.

So wurden die guten Erfahrungen aus vergangenen Zeiten zusammengetragen. Denen fügte man die vielen Ideen der Berater und Bewunderer hinzu. Die Interessen der Minister vervollständigten das Werk.

Endlich sollte alles wieder gut werden.

Alle werden dabei gewinnen.

Die Herolde werden geschätzt und bekommen mehr Verantwortung. Sie tragen Sorge, damit alles geschehe.
Einige trugen Sorgen und Befürchtungen vor, sie meinten, es seien zu wenig Herolde. Diese und andere Sorgen konnte genommen werden, denn alles sei berücksichtigt worden.

So kam es, daß der König auf seine Minister und Berater stolz sein konnte.

Nach den langen Jahren überreichten sie ihm eine goldene Handschrift.
Jetzt würde das Volk wieder verstehen.

Und bei Hof feierte man ein großes Fest.

 

 

 

2. Der Berater

Dr. Fröhlich muß sich entscheiden. Er steht vor dem Spiegel und schaut sich intensiv und lange an. Die Haare werden langsam grau, die ersten sah er schon von über zehn Jahren, ließen sich aber noch herauszupfen. Zum Glück sind sie noch zahlreich und mehrheitlich dunkelbraun. Machen sich die grauen Strähnen da nicht sogar ausnehmend schön? Ja, darauf kommt es an. Gerade heute. Dies ist ein wichtiger Tag. Es geht um viel – für Dr. Fröhlich.  Es geht um Geld. Viel. Der Auftrag ist wichtig, weil er einen Ruf erwerben kann. Und der ist wichtig. Der Ruf bedeutet mehr als die Fähigkeiten, die sich einer erwirbt, denn die kann der Auftraggeber gar nicht beurteilen, es kommt ihm auch gar nicht so darauf an, was am Ende herauskommt. Zum einen hat er darauf keinen Einfluß und zum anderen zählt mehr, daß der Auftraggeber etwas vorzuweisen hat. Die Verantwortlichen sind in der gleichen Lage wie Dr. Fröhlich, sie müssen sich einen Ruf schaffen und bewahren. Über diese Brücke muß Dr. Fröhlich gehen. Hier finden sie heute zusammen. Aber darf er das erwähnen, wie stehen die anderen dann da? Auf keinen Fall dürfen sie sich irgendwie klein fühlen können, das darf nicht passieren! Im Gegenteil, sie müssen ihn mögen. Er muß ihnen sympathisch sein. Das ist heute seine eigentliche Aufgabe: sympathisch sein  – als ob man darauf einen Einfluß hätte. Das ist seine Herausforderung.
Die Welt , in die er heute gehen wird, ist ihm vertraut und doch gehört er nicht hinein.
Es steht vor dem Spiegel und muß sich entscheiden. Es ist ein Witz des Lebens: er soll sich entscheiden. Seinen Beruf hat er…
Beruflich berät er andere, sich zu entscheiden.
Und kann es selber doch so schwer.
Soll er den Dreitagebart stehen lassen? Das trägt an heute, es gibt einen reifen und doch jugendlichen Anschein. Dazu verdeckt es die Blässe der Haut. Das Solarium hat sich nicht bewährt, da sehe ich ja aus wie ein Skilehrer oder Camper.,  als Skilehrer ginge er nie durch, der Sportlertyp ist er nicht. Die Wampe für den Camper hat er zum Glück aber auch nicht. Sie wollen einen der Seriosität ausstrahlt. Immerhin ist er Berater.
Am Ende eines hoffentlich langen und deshalb teuren Entscheidungsfindungsprozesses, hängt von seiner Wirkung ab, wie das Ergebnis gefeiert wird, wie man es annimmt oder verwirft. Wieder geht es um Sympathie. Nach dem Inhalt wird keiner fragen. Die haben das schon oft gemacht und werden es immer wieder tun. Sie müssen gut rauskommen dabei. Darum geht es. Deshalb muß er teuer sein, sonst haben seine Besteller ja nicht den Besten gewählt und stehen selber doof da. Nein, sie haben den Besten bekommen. Das darf er nicht enttäuschen. Je mehr sie das spüren,. Desto sympathischer ist er ihnen. Sie müssen schwärmen – in Selbstgefälligkeit werden sie es tun und sie werden ihn deshalb auch weiterempfehlen.
Der Bart muß wohl eher ab.
Welch ein Glück, daß der Friseur die Haare so geschnitten hat, daß hier jetzt auch noch Fragen auftauchen könnten.
Die Brille paßt dazu. Sie unterstreicht seinen Doktortitel. Daruaf ist er sehr stolz.  Ohne den bräuchte er heute gar nicht erst in den Spiegel zu schauen. Keiner fragt nach einem ohne Titel. Er ist stolz darauf. Wer fragt schon, worüber er promoviert hat und wie gut er abgeschnitten hat?
Das Thema hat ihn auch nicht wirklich interessiert. Der Professor hat ihm einen Vertrag über drei Jahre angeboten und er war erst mal unter.  Mit dem höheren akademischen Grad wird sich eher was finden. Und so kam es j auch. Jetzt ist er freier Unternehmensberater.
Und das wird sein erster ganz großer Auftrag. Die Firma hat viele Filialen und deren Leiter kommen oft zusammen. Wenn er sich hier einen Ruf erwirbt, ist er drin. Für lange!
Und wer zwei Aufträge hinter sich hat wird zum Thema. Doktor Fröhlich ist der Papst unter den Beratern in unserem Bereich!
Der Scheitel muß gerade sein, nein, nichts in die Haare schmieren. Auf keinen Fall darf er schmierig rüberkommen.
Also die Lösung der Bartfrage hängt an der Antwort auf die Kleiderfrage.
Auf keinen Fall zu strenges Schwarz. Das tragen die. Er muß sich ja abheben, sonst bräuchten sie ihn nicht.
Ein Rollkragenpullover wäre vor einigen Jahren noch als locker gelobt worden. Inzwischen ist das sogar im Bundestag vorbei. Heute paßt man sich an: Vielfalt in der Eintracht. Das Gemeinsame wird betont, Linie zeigen ohne Kanten und Ecken, ohne auszugrenzen. Inklusion statt Exklusion. Heißt das nicht einsperren statt aussperren – was soll’s, wen kümmern inhaltlichen Fragen? Es geht um Systeme. Wie machen wir’s, nicht was. Das steht fest. Das ist vorgegeben. Der Berater stellt nicht in Frage, er stellt keine Fragen, er entlockt dem Auftraggeber die Ideen, sie sollen ja die Großen sein. Aber natürlich nicht auf seine Kosten, er ist der Größte – in  seiner Branche..
Und das zeigt der Anzug, teuer, ohne protzig zu sein. Dr. Fröhlich muß in einer Menge untertauchen können, ohne sich einzufügen. Der Anzug macht das Alphatier wie die Form den Inhalt, die Rhetorik die Rede. Wie ist das beste Mahl, wenn es nicht appetitlich aussieht? Sie müssen nach ihm hungern. Ihn brauchen. Ihm an den Lippen hängen, wenn er sagt, was sie hören wollen, selber aber nicht aussprechen können. Seine Rolle erlaubt die banalsten Allgemeinplätze als Weisheit zu verkaufen, formvollendet zu formulieren. Als Novum, als Prozeß, als Ziel.
All das steckt im Anzug. Er muß passen.
Ein bißchen Familienvater, aber nicht zu viel, denn sie sollen ja nicht nach seinem vor- und Privatleben fragen.
Wie gut, daß er diese Frau hat. Sie verleiht seiner Vorstellung den Schliff. Stolz kann er sie erwähnen und vorzeigen, zusammen mit dem gemeinsamen Kind, sechs Jahre alt, oder schon acht?
Sie ist seine erste feste Freundin gewesen. Am Ende seiner Promotion sind sie sich begegnet. Natürlich haben sich schon davor Mädchen für ihn interessiert,  auch attraktive und sehr attraktive, aber er wollte sich nicht festlegen.
Aber sie war beharrlich, sie weiß, was sie will. Man kann sie mitnehmen, sie weiß sich zu kleiden und zu reden und zu schweigen. Sie hat was vorzuzeigen, Doktor und selbständiger Unternehmensberater. Deshalb erzieht auch sie das Kind, es gibt keine Sorgen, die ihn plagen.
Eine Verbindung, aus der beide als Gewinner hervorgehen. Das ist ja heute sein Produkt, das er anpreisen wird.
Ja Doktor ist er, und fröhlich.
Er braucht bloß die Strömungen aufzunehmen, auf den Chor der Beteiligten zu hören und sie zu dirigieren.
Ja, er ist fröhlich, denn es wird ein schöner Tag.
Zuerst wird er den treffen, der ihn vorgeschlagen hat. Er wird sich freuen und bedanken, daß es klappt und er wird die ersten Ideen äußern. Dann wird er über den Chef des Ganzen sprechen und ausführen, daß dieser „ganz spezielle Vorstellungen“ habe, die es unter allen Umständen zu berücksichtigen gelte. Er wird mich belehren, daß man das Projekt zeitlich limitieren müsse, nicht zuletzt gehe er selbst ja bald in Vorruhestand. Natürlich sei dies nicht der Grund, man brauche Ergebnisse und die möglichst bald. Man darf nichts verschleppen.
Danach wird er mich zum Chef führen. Seine Bedenken sind die wirklich wichtigen, sie stecken den Rahmen ab und geben die Richtung vor. Aus seinen Vorstellungen, Wünschen und Ängsten formuliert man die ersten Ziele. So wird er sagen: „Da kann nicht jeder machen, was er will.“
Daraus einigen wir uns auf Ziele und Zwischenziele, die dann in den Gruppen so erarbeitet werden. Das fasse ich dann zusammen und präsentiere mein Schema als Zusammenfassung und danke für die offenen Worte und die konstruktive Mitarbeit. Meine vorgefertigte Präsentation verleiht meinem Tun die Professionalität und vermeidet den Eindruck, ich hätte nichts zu sagen. Oje, ich muß los. Der Bart bleibt, zum Glück hat meine Frau schon die Kleider rausgelegt. Die Gute.

 

 

3. Der leuchtende Spiegel

Manchmal spinnt dieser Spiegel. Da will man sich nur die Zähne putzen und dann leuchtet er ganz eigenartig. Der Raum wird nicht heller, nur das Bild – mein Spiegelbild leuchtet. Ich sehe mich wie erleuchtet. Manchmal denke ich, es könnte eine Sprache des Gewissens sein. Dabei dachte ich immer, es beißt. Tut es nicht weh, wenn sich das Gewissen meldet. Dann ist es etwas anderes.
Alles ist so klar. Plötzlich habe ich eine Vorstellung davon, wie alles so geregelt werden kann, damit alle damit einverstanden sind und zufrieden –  natürlich im Rahmen des sachlich Möglichen! Da geht es – ganz ohne Zauber und ohne Fee mit drei Wünschen oder so. Ich selber bin der Held. Die anderen sind stolz auf mich, wie ich es regle und deshalb auch stolz auf mich, daß ich es regle.  Gut, das sind sie jetzt schon, aber nur, weil sie es dann nicht selber tun müssen. Im Spiegel freuen sie sich wirklich, daß ich es tue. Sie sagen zueinander: „Gut, daß der das regelt, das könnte von uns keiner besser!“ Und das tut gut. Ich spüre, das Lob ist verdient. Deshalb wäre ich dann bescheiden. Weil ich besser bin, hat keiner mehr den Eindruck, ich würde mich aufspielen.
Genau deshalb kommen die Menschen und erfragen seinen Rat, sie wissen, daß man ihn danach fragen kann; er ist gut.
Der Blick in den Spiegel gleicht der Erfüllung meiner tiefen Sehnsucht – nach Lob, nach Bewunderung, im letzten danach, anerkannt zu werden.
Bei jedem Blick in jeden Spiegel zu sehen, bei allem, was nicht so gelingt, es gibt doch genug Grund, zufrieden zu sein, insgesamt läuft alles gut.
So, aber jetzt enden die Träume, ich habe zu tun.